Integrität und Integration: Juden in der brasilianischen Gesellschaft Bedeutsam, wenn auch ungenau, sind die Jahre der jüdischen Präsenz in Brasilien. Sie können je nach gewählter Zählung variieren: ob seit der Zeit der Großen Schifffahrt, oder aufgrund der Inquisition auf der Iberischen Halbinsel, oder aufgrund der marokkanischen Einwanderung, oder wegen der zaristischen, nationalsozialistischen, kommunistischen Verfolgungen … oder sogar als sie von ihren Heimaten abreisten auf der Suche nach einer erfolgreichen und sicheren Zukunft für sich und ihre Nachkommen. Auch Juden, die seit jeher in der Alten Welt unterwegs waren, fanden ihren Weg in die Neue Welt. Die Anwesenheit von Juden in Brasilien war oft unerwünscht und wurde in gewisser Weise aus Gründen entkräftet, die nichts mit der Art und Weise zu tun hatten, wie sie pragmatisch mit dem Land umgingen: Kinder großgezogen, die Sprache gelernt, Gewohnheiten übernommen, Institutionen für das Gemeinwohl und Unternehmen gegründet, die die Gegenwart lebensfähig machen und die Zukunft säen. Von dem österreichischen jüdischen Schriftsteller Stefan...
Die Nacht der gebrochenen Herzen und der zerbrochenen Gläser Erst ab dem 19. Jahrhundert genossen Juden in einigen Herzogtümern und Fürstentümern, die den Bund Deutscher Nationen bildeten, Bürgerrechte. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts führte Napoleon Bonaparte in diesem Staatenkonglomerat in den von ihm eroberten Gebieten eine Reihe gleicher Rechte für alle ein, die mit der deutschen Einigung 1871 beibehalten und 1918 mit der Weimarer Republik ratifiziert wurden. Um die Denkweise und Mentalität vieler in Deutschland lebender Juden und den Prozess zu verstehen, der in der Reichspogromnacht (Kristallnacht) gipfelte, ist es wichtig, einige Konzepte über die Lebensweise in Deutschland zu erläutern und Ereignisse der ARI-Gemeinschaft und ihrer Mitglieder zu rekapitulieren und diese in Bezug zu historischen Ereignissen zusetzen. Die Zugehörigkeit zu einer Nation hatte für die Juden im 19. und frühen 20. Jahrhundert viele Vorteile. Die starke Identifikation mit Aschkenas, dem hebräischen Namen für die Region Mitteleuropas, in der sich heute Deutschland und die umliegenden Gebiete befinden, war nicht umsonst....
Deutsch-jüdisches Kulturerbe im tropischen Rio de Janeiro Dieser Kiddusch-Becher steht beispielhaft für die Bewegung der verschiedenen jüdischen Bevölkerungen Europas – sei sie gewollt, oder ungewollt gewesen. In der Tat spielt Bewegung eine wichtige Rolle auch für die nicht-jüdischen Bevölkerungen, mehr als der engstirnige nationalbezogene Gedanke erlauben möchte. Menschen bewegen sich ständig. Nicht immer können oder dürfen sie ihren Besitz mitnehmen. Im 20ten Jahrhundert glückte nur einem Teil der europäischen Juden die Flucht vor den nationalsozialistischen Verfolgungen. Und klein ist die Zahl derer, die ihr Hab und Gut, ihre materielle Existenz, mitzunehmen vermochten, sodass der Stellenwert des immateriellen Gepäcks – der Kultur, der Tradition, des erworbenen Wissens – immer wichtiger wurde. In diesem Zusammenhang sind Judaika-Objekte nicht nur Begleiter oder Protagonisten im jüdischen Kultus oder im alltäglichen oder zeremoniellen Leben von Juden, sondern viel mehr selber Überlebende. Dieser Becher hat mit dieser Ausstellung das Glück und die Ehre in seine Heimat, in seinen Entstehungsort nach ungefähr 180 Jahren...
Der Kidduschbecher Die Präsenz des Bechers unter den Gegenständen von Judaika beruht ausschließlich auf der Tatsache, dass er der Behälter ist, in dem sich Wein befindet. Der Wein wurde zum ersten Mal im Talmud in einer längeren Diskussion über die Reihenfolge des Segens über die Früchte des Weinstocks erwähnt und von der Zeit blieb der Brauch, ihn nach den Gebeten zu trinken. Erst unter dem Einfluss…
Wenn aus Horror Schrecken wird Die Reichspogromnacht, auch naiv „Kristallnacht“ genannt, markiert für die deutschen Juden die Verwandlung von Horror in Schrecken und den Beginn offener und systematischer körperlicher Gewalt. Bis dahin erfolgte die Verfolgung von Juden im Allgemeinen in Form von Zwang und Ausgrenzung durch rassistische und ausgrenzende Gesetze. Von da an war die körperliche Unversehrtheit der jüdischen Bevölkerung offiziell bedroht, und sowohl der Wunsch als auch die Notwendigkeit zur Auswanderung erreichten ein Ausmass der Verzweiflung: Die Flucht aus Deutschland wurde zur dringenden Überlebensfrage. Diese Nacht symbolisiert das Ende des deutschen Judentums, wie es bis dahin bekannt war – Synagogen werden niedergebrannt, Tausende jüdischer Männer werden verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt, ihre Lebensgrundlagen werden ausgelöscht, ihr soziales Umfeld wird unterdrückt. Diejenigen, die aufgrund Beziehungen oder finanzieller Möglichkeiten, suchen Zuflucht in nahen oder fernen Ländern wie Brasilien. Die Hinterbliebenen sind Zeugen der Institutionalisierung antisemitischer Ideologie. Der heutige Abend, der den 80. Jahrestag dieser Schreckensnacht markiert,...