Juden altern nicht Vor der Pandemie war ich einige Male in Israel, um nach Dokumenten zu suchen, die mir helfen könnten, ein vollständigeres Bild vom Leben und Werk von Rabbiner Dr. Lemle in Brasilien zu zeichnen. Wir haben bereits viel Material in der von ihm gegründeten Gemeinde ARI und bei der Familie Lemle, hauptsächlich über seine Arbeit in Deutschland und England, bzw. ihrem Herkunftsland und ihrem Exilland vor Brasilien. Diese Aufenthalte waren für mich als Forscher aufschlussreich, als Mensch erbaulich und entscheidend für meine Beziehung zu Israel und seinen Bürgern. Ich kann mir vorstellen, dass jeder das irgendwann in seinem Leben durchmacht. Bei einem dieser Besuche im Archiv der Hebräischen Universität in Jerusalem war ich sehr überrascht von der Anzahl orthodox aussehender Männer, die die öffentlich zugänglichen Computer in der Universitätshalle benutzten. Ich habe damals sogar gegenüber der mich begleitenden Forscherin meine Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass sich so viele von ihnen...
Wer sind wir in diesem Moment? Die Lektüre des Parascha Pinchas in dieser Woche machte mich auf die moralische und sachliche Dualität unseres Urteils aufmerksam: Pinchas wird für einen Mord mit der Ehre des ewigen Priestertums für seine Familie belohnt. In der heutigen Welt können wir uns mit dieser Tatsache nicht identifizieren. Die Töchter von Tzelofchad profitieren vom Erbe ihres Vaters. Sie suchen Moses, der Gott um Rat bittet. Und Gott findet es gerecht, dass sie das Erbe erhalten, wenn kein männlicher Erbe vorhanden ist. Damit hat Gott dieses Gesetz geschaffen, mit dem wir uns heute sehr gut identifizieren können. Ein Zeichen dafür, dass unsere Herangehensweise an den Text der Thora an unsere Zeit und unseren Raum gebunden ist. Ein Jude, der diese Parascha im Jahr 230 in einer geschlossenen und machohaften Kultur las, hätte vielleicht das Gegenteil von dem gedacht, was wir heute hier denken: Die Rechte der Töchter von Tzelofchad sind eine Beleidigung und...
Noach war in seiner Generation ein gerechter und tadelloser Mann Genesis (1. Buch Mose) ist reine Poesie. Es muss unzählige Male gelesen werden und mit jeder Lektüre offenbart sich eine neue Ebene, eine neue Bedeutung. Die Dichte des Buches Genesis ist eine Herausforderung für Materie und Physik. Als liberale Juden entnehmen wir dem Text etwas, das uns über das hinausführt, was dort geschrieben steht. Wir heben uns von der Wörtlichkeit ab und begeben uns auf den Flug des Begreifens und Verstehens vor dem Hintergrund der heutigen Zeit. Parascha Noach ist voller wichtiger Matrizen, die sowohl Hollywood-Epen inspiriert haben als auch unverzichtbare Symbole in unserer heutigen Welt sind. In Noach passiert alles: die regenerierende Flut auf der Erde, die der Ungerechtigkeit und Korruption ausgeliefert ist; der Ruin des Turmbaus zu Babel, der Verwirrung und Missverständnisse hervorruft; die Erwähnung von Abram und Sarai, noch bevor sie der Patriarch Abraham und die Matriarchin Sarah wurden; die Taube mit dem Olivenzweig – Symbol des...